BRISINGR!
Saphira
legte die Flügel eng an den Körper, ging in einen Sturzflug über
und raste den dunklen Gebäuden der Stadt entgegen. Eragon duckte
sich zum Schutz vor dem Wind, der an seinem Gesicht zerrte. Die
Welt drehte sich um sie, als Saphira sich nach rechts rollte, um
den Bogenschützen am Boden kein leichtes Ziel zu bieten.
Eragons Gliedmaßen wurden schwer, als
Saphira ihren Sturzflug abrupt abfing. Dann schwebte sie waagerecht
in der Luft und das erdrückende Gewicht auf ihm verschwand. Wie
schlanke, kreischende Falken zischten die Pfeile an ihnen vorbei;
einige verfehlten sie ohnehin, die übrigen lenkte Eragons
Schutzzauber ab.
Saphira sauste im Tiefflug über die
Stadtmauer und fegte dabei mit ihren Klauen und dem Schwanz
Dutzende schreiender Männer von der achtzig Fuß hohen
Brustwehr.
Am Ende der Südmauer stand ein hoher
viereckiger Wehrturm mit vier Wurfmaschinen. Die riesigen
Bogengeschütze schleuderten zwölf Fuß lange Speere auf die Varden,
die sich vor den Stadttoren drängten. Innerhalb der Stadtmauern
entdeckten Eragon und Saphira eine Gruppe von hundert Soldaten oder
mehr, die zwei einzelne Krieger umzingelt hatten. Die beiden
standen Rücken an Rücken am Fuß des Wehrturms und versuchten
verzweifelt, das Dickicht der zustoßenden Klingen abzuwehren.
Selbst im Halbdunkel und von weit oben
erkannte Eragon einen der Kämpfer als Arya.
Saphira stieß hinab und landete inmitten der
Soldaten, wobei sie einige von ihnen unter ihren Klauen zermalmte.
Die übrigen schrien überrascht auf und ergriffen panisch die
Flucht. Enttäuscht darüber, dass ihre Beute entwischte, brüllte
Saphira, peitschte mit dem Schwanz über den Boden und erledigte ein
weiteres Dutzend Soldaten. Ein Mann versuchte, an ihr vorbei zu
entkommen. Schnell wie eine Schlange stieß sie zu, schnappte ihn
sich mit einem Biss und warf den Kopf hin und her, um dem Mann das
Rückgrat zu brechen. Vier seiner Gefährten erledigte sie ebenso.
Dann waren die übrigen Männer zwischen den Gebäuden
verschwunden.
Eragon löste rasch die Beinriemen und sprang
zu Boden. Wegen der schweren Rüstung fiel er bei der Landung hart
auf ein Knie und richtete sich ächzend auf.
»Eragon!«, rief Arya und rannte auf ihn zu.
Sie atmete schwer und war schweißüberströmt. Ihre Rüstung bestand
lediglich aus einem gepolsterten Lederwams und einem leichten Helm,
der schwarz angemalt war, um keine ungewollten Lichtreflexe zu
erzeugen.
»Willkommen, Bjartskular. Willkommen,
Schattentöter«, schnurrte Bloëdhgarm neben ihr. Seine
orangefarbenen kurzen Fangzähne glänzten im Fackelschein, die
gelben Augen glühten. Am Rücken und im Nacken des Elfs sträubte
sich das Fell, was ihn noch wilder erscheinen ließ als sonst. Er
und Arya waren blutüberströmt, doch Eragon konnte nicht erkennen,
ob es ihr eigenes Blut war.
»Seid ihr verletzt?«, fragte er.
Arya schüttelte den Kopf und Bloëdhgarm
sagte: »Nur ein paar Kratzer, nichts Ernstes.«
Was tut ihr hier ohne
Verstärkung?, fragte Saphira.
»Die Tore«, keuchte Arya. »Drei Tage lang
haben wir versucht, sie niederzureißen, aber Magie prallt an ihnen
ab und der Rammbock hat in dem Holz kaum eine Delle hinterlassen.
Deshalb habe ich Nasuada überredet...«
Als Arya verstummte, um Atem zu schöpfen,
erzählte Bloëdhgarm für sie weiter. »Arya hat Nasuada überredet,
heute Nacht diesen Angriff zu führen, damit wir uns währenddessen
unbemerkt in die Stadt schleichen können, um die Tore von innen zu
öffnen. Leider trafen wir auf ein Trio von Zauberkundigen. Sie
blockierten unseren Geist und hinderten uns daran, Magie zu
gebrauchen. Gleichzeitig riefen sie Soldaten herbei, um uns durch
ihre schiere zahlenmäßige Überlegenheit zu überwältigen.«
Während Bloëdhgarm erzählte, legte Eragon
einem der getöteten Soldaten seine Hand auf die Brust und übertrug
dessen verbliebene Lebenskraft erst auf sich und dann weiter auf
Saphira. »Wo sind diese Magier jetzt?«, fragte er und ging weiter
zum nächsten Leichnam.
Bloëdhgarms fellbedeckte Schultern hoben und
senkten sich. »Sie scheinen vor Angst geflohen zu sein, als sie
Euch sahen, Shur’tugal.«
Recht
so, knurrte Saphira.
Eragon entzog noch drei weiteren Soldaten
Energie und dem Letzten nahm er außerdem den hölzernen Schild ab.
»Nun denn«, sagte er und richtete sich auf, »lasst uns den Varden
die Tore öffnen.«
»Ja, und zwar auf der Stelle«, stimmte Arya
zu. Sie eilte los, dann warf sie einen Seitenblick auf Eragon. »Du
hast ein neues Schwert.« Es war keine Frage.
Er nickte. »Rhunön hat mir geholfen, es zu
schmieden.«
»Und wie heißt Eure Klinge, Schattentöter?«,
fragte Bloëdhgarm.
Eragon wollte gerade antworten, da stürmten
aus einer dunklen Gasse vier Soldaten mit gesenkten Speeren auf sie
zu. In einer einzigen fließenden Bewegung zog er Brisingr aus der
Scheide, schnitt durch den Speerschaft des vordersten Angreifers
und enthauptete den Mann. Brisingr schien vor wilder Freude zu
schillern. Arya sprang vor und erstach zwei weitere Männer, bevor
diese reagieren konnten, während Bloëdhgarm zur Seite hechtete, den
letzten Soldaten packte und ihn mit dessen eigenem Dolch
tötete.
»Beeilt euch!«, rief Arya und rannte in
Richtung des Stadttors.
Eragon und Bloëdhgarm stürmten ihr nach,
dicht gefolgt von Saphira, deren Klauen laut auf die gepflasterte
Straße schlugen. Von der Brustwehr schossen Bogenschützen auf sie
und noch dreimal stürzten Soldaten hinter verschiedenen Gebäuden
hervor und griffen sie an. Ohne langsamer zu werden, mähten Eragon,
Arya und Bloëdhgarm die Angreifer nieder, oder Saphira erledigte
sie mit einem lodernden Feuerstrahl.
Das Dröhnen des Rammbocks wurde immer
lauter, während sie auf die beiden vierzig Fuß hohen Stadttore
zuliefen. Vor den eisenbeschlagenen Toren entdeckte Eragon drei in
dunkle Gewänder gehüllte Gestalten, zwei Männer und eine Frau. Sie
sangen in der alten Sprache und schwenkten die hochgereckten Arme
hin und her. Als sie ihn und seine Gefährten bemerkten, verstummten
die Magier und rannten mit flatternden Roben Feinsters Hauptstraße
hinauf, die zur Festungsanlage am anderen Ende der Stadt
führte.
Eragon hätte sie am liebsten verfolgt, aber
im Moment war es wichtiger, die Varden in die Stadt zu lassen,
damit sie nicht länger den Soldaten auf der Brustwehr ausgeliefert
waren. Ich frage mich, was sie im Schilde
führen, dachte er, während er den Magiern besorgt
nachblickte.
Bevor Eragon, Arya und Bloëdhgarm die
riesigen Holztore erreichten, strömten fünfzig Soldaten in
glänzenden Rüstungen aus den beiden Wachtürmen und nahmen vor den
gewaltigen Holztoren Aufstellung.
Einer der Soldaten schlug mit dem
Schwertknauf gegen seinen Schild und brüllte: »An uns kommt ihr
nicht vorbei, ihr widerlichen Dämonen! Dies ist unsere Stadt, und
wir werden niemals zulassen, dass Urgals, Elfen und andere
Ungeheuer diesen Ort betreten! Verschwindet, denn auf euch wartet
in Feinster nichts als Blut und Leid!«
Arya deutete auf die Wachtürme und murmelte
Eragon zu: »Die Winden zum Öffnen der Tore sind da drin.«
»Dann los«, sagte Eragon. »Du und
Bloëdhgarm, ihr schleicht euch an den Männern vorbei und schlüpft
in die Türme. Solange lenken Saphira und ich die Soldaten
ab.«
Arya nickte, dann verschwanden sie und der
Wolfkatzenelf hinter Eragon in den tintenblauen Schatten der
Häuser.
Durch seine Verbindung mit Saphira spürte
er, wie sie sich sammelte, um sich auf den Soldatentrupp zu
stürzen. Er legte ihr die Hand ans Vorderbein. Warte, sagte er. Ich
möchte zuerst etwas anderes versuchen.
Wenn es nicht
funktioniert, darf ich die Männer dann in Stücke
reißen?, fragte Saphira und leckte sich die Fänge.
Ja, dann kannst du mit
ihnen machen, was du willst.
Eragon ging langsam auf die Soldaten zu,
Schwert und Schild seitlich von sich gestreckt. Von oben kam ein
Pfeil auf ihn zugeflogen, fiel aber drei Fuß vor seiner Brust zu
Boden. Eragon betrachtete die furchterfüllten Gesichter der
Soldaten, dann rief er mit lauter Stimme: »Ich bin Eragon
Schattentöter! Vielleicht habt ihr schon von mir gehört, vielleicht
auch nicht. So oder so sollt ihr Folgendes wissen: Ich bin ein
Drachenreiter und habe geschworen, den Varden zu helfen, Galbatorix
vom Thron zu stürzen. Und jetzt sagt mir: Hat irgendjemand von euch
Galbatorix oder dem Imperium in der alten Sprache die Treue
geschworen?«
Derselbe Soldat, der zuvor gesprochen hatte,
offenbar der Hauptmann, erwiderte: »Wir würden dem König niemals
die Treue schwören, selbst dann nicht, wenn er uns eine Klinge an
die Kehle setzte! Unsere Loyalität gehört Fürstin Lorana. Sie und
ihre Familie herrschen seit vier Generationen über uns und haben
uns immer gut geführt!«
Die anderen Soldaten murmelten
zustimmend.
»Dann schließt euch uns an!«, rief Eragon.
»Ihr könnt nicht hoffen, Feinster gegen die geballte Macht der
Varden, Surdaner, Zwerge und Elfen zu halten. Legt die Waffen
nieder, und ich verspreche, dass euch und euren Familien nichts
geschieht.«
»Das sagst du«, rief einer der Soldaten.
»Aber was, wenn Murtagh und dieser rote Drache wieder
auftauchen?«
Eragon zögerte, dann sagte er mit fester
Stimme: »Er ist mir und den Elfen, die aufseiten der Varden
kämpfen, nicht gewachsen. Wir haben ihn schon einmal in die Flucht
geschlagen.« Er sah, wie Arya und Bloëdhgarm links von den Soldaten
hinter der Steintreppe hervorhuschten, die zur Brustwehr führte,
und mit lautlosen Schritten auf den näheren der beiden Wachtürme
zuschlichen.
Der Soldatenhauptmann erklärte: »Wir sind
zwar nicht dem König verpflichtet, aber Fürstin Lorana ist es. Was
werdet ihr unserer Fürstin antun? Sie töten? Einkerkern? Nein, wir
werden ihr die Treue nicht brechen. Wir werden weder euch
durchlassen noch die Monster, die sich in unsere Mauern krallen. Du
und die Varden, ihr bedeutet nichts anderes als den Tod für jene,
die gezwungen wurden, dem Imperium zu dienen! Warum musstest du
dich einmischen, Drachenreiter? Warum bist du nicht geblieben, wo
du warst? Dann hätte der Rest von uns in Frieden weiterleben
können. Aber nein, die Verlockung von Ruhm, Ehre und Reichtum war
zu groß für dich. Du musstest Leid und Unglück über uns bringen, um
deinen Ehrgeiz zu befriedigen. Nun, dafür verfluche ich dich,
Drachenreiter! Ich verfluche dich aus ganzem Herzen! Mögest du
Alagaësia verlassen und nie mehr zurückkehren!«
Eragon fröstelte. Mit ganz ähnlichen Worten
hatte der letzte Ra’zac im Helgrind ihn verflucht, und er erinnerte
sich, wie Angela ihm genau dieses Schicksal prophezeit hatte. Er
zwang sich, diese Gedanken beiseitezuschieben. »Ich möchte euch
nicht töten«, sagte er, »aber ich werde es tun, wenn es sein muss.
Legt die Waffen nieder!«
Geräuschlos öffnete Arya die Tür des linken
Wachturms und schlüpfte hinein. Verstohlen wie eine Raubkatze auf
der Jagd glitt Bloëdhgarm hinter den Soldaten auf den anderen Turm
zu. Hätte einer der Männer sich umgedreht, er hätte den Elf
gesehen.
Der Hauptmann spuckte Eragon vor die Füße.
»Du siehst selbst nicht mal mehr aus wie ein Mensch! Du bist ein
Verräter an deinem Volk, jawohl!« Und damit hob der Mann seinen
Schild und das Schwert und kam langsam auf Eragon zu. »Ein
Schattentöter?«, knurrte der Soldat. »Dass ich nicht lache! Du bist
ja noch nicht mal trocken hinter den Ohren. Da könnte ich genauso
gut daran glauben, dass der zwölfjährige Sohn meines Bruders einen
Schatten getötet hat.«
Eragon wartete, bis der Hauptmann ihn fast
erreicht hatte. Dann trat er einen Schritt vor und stieß Brisingr
mitten durch den gehämmerten Schild des Mannes, durch den Arm
dahinter und in die Brust, bis die Klinge am Rücken wieder austrat.
Der Mann zuckte einmal, dann regte er sich nicht mehr. Während
Eragon das Schwert aus dem Leichnam zog, erhob sich in den
Wachtürmen plötzlich dröhnender Lärm, als die Winden und Ketten
sich in Bewegung setzten und die massiven Querbalken, die die
Stadttore verriegelten, sich zu heben begannen.
»Legt die Waffen nieder oder sterbt!«, rief
Eragon.
Mit lautem Gebrüll stürzten zwanzig Soldaten
mit gezückten Schwertern auf ihn zu. Die übrigen flohen entweder
ins Herz der Stadt oder folgten Eragons Rat: Sie warfen ihre
Schwerter, Speere und Schilde auf die grauen Pflastersteine,
knieten sich am Straßenrand auf den Boden und legten die Hände auf
die Oberschenkel.
Eine feine rote Blutwolke umhüllte Eragon,
während er sich durch die Soldaten kämpfte. Schneller als sie
reagieren konnten, tänzelte er von einem zum nächsten. Saphira
schleuderte zwei ihrer Widersacher zu Boden und briet dann mit
einem kurzen Flammenstoß zwei andere in ihrer Rüstung. Den
Schwertarm noch erhoben von dem Streich, den er gerade geführt
hatte, kam Eragon rutschend mehrere Fuß hinter dem letzten Soldaten
zum Stehen und wartete, bis er hörte, wie der Mann zu Boden fiel -
erst die eine Hälfte, dann die andere.
Arya und Bloëdhgarm traten aus den
Wachtürmen, gerade als die Tore ächzend nach außen schwangen und
den Blick auf das stumpfe, gesplitterte Ende des massiven Rammbocks
der Varden freigaben. Oben auf der Brustwehr schrien die
Bogenschützen auf und zogen sich auf besser zu verteidigende
Positionen zurück. Dutzende Hände packten die Tore und zogen sie
weiter auseinander. Eragon erblickte eine Masse grimmig
dreinblickender Varden, Menschen und Zwerge, die sich durch den
Torbogen drängten.
»Schattentöter!«, riefen sie und »Argetlam!«
und »Willkommen! Heute ist ein guter Tag zum Jagen!«
»Die da sind meine Gefangenen!«, sagte
Eragon und deutete mit Brisingr auf die Soldaten, die neben der
Straße knieten. »Fesselt sie und behandelt sie anständig. Ich habe
versprochen, dass man ihnen nichts antun würde.«
Sechs Krieger befolgten eilig seinen
Befehl.
Die Varden stürmten in die Stadt und ihre
klirrenden Rüstungen und stampfenden Stiefel erfüllten die Gassen
mit einem gleichmäßig rollenden Donner. Erfreut entdeckte Eragon in
der vierten Reihe der Krieger Roran und Horst und mehrere andere
Männer aus Carvahall. Er grüßte sie. Roran hob zum Gruß seinen
Hammer und schob sich zu ihm durch.
Eragon packte Rorans rechten Unterarm und
zog ihn in eine raue Umarmung. Dann löste er sich von ihm und
bemerkte, dass Rorans Augen tief in den Höhlen lagen.
»Das wurde auch Zeit«, brummte Roran. »Wir
sind zu Hunderten gestorben, seit wir versuchen, diese Mauern zu
erstürmen.«
»Saphira und ich sind so schnell gekommen,
wie wir konnten. Wie geht es Katrina?«
»Es geht ihr gut.«
»Wenn alles vorbei ist, musst du mir
erzählen, wie es dir während meiner Abwesenheit ergangen
ist.«
Roran presste die Lippen aufeinander und
nickte. Dann deutete er auf Brisingr. »Wo hast du das Schwert
her?«
»Von den Elfen.«
»Und wie heißt es?«
»Bris-«, setzte Eragon an, da stürzten die
restlichen elf Mitglieder seiner Elfengarde aus der Kriegerschar
auf ihn zu und umringten sie. Auch Arya und Bloëdhgarm schlossen
sich ihnen wieder an. Die Elfe wischte gerade ihre schlanke
Schwertklinge sauber.
Bevor Eragon weiterreden konnte, ritt
Jörmundur durchs Tor und begrüßte ihn. »Schattentöter! Der
Zeitpunkt hätte nicht besser sein können.«
Eragon erwiderte den Gruß und fragte: »Was
sollen wir als Nächstes machen?«
»Was du für richtig hältst«, entgegnete
Jörmundur und zügelte sein braunes Schlachtross. »Wir müssen uns
zur Festungsanlage durchschlagen. Allerdings sieht es nicht so aus,
als würde Saphira zwischen den Häusern hindurchpassen, deshalb
fliegt besser über der Stadt und greift den Feind an, wo ihr könnt.
Falls ihr in die Burganlage eindringen und Fürstin Lorana gefangen
nehmen könntet, wäre das eine große Hilfe.«
»Wo ist Nasuada?«
Jörmundur deutete über seine Schulter. »Sie
steht am Ende der Streitmacht und koordiniert gemeinsam mit König
Orrin die Truppenbewegungen.« Er blickte über die Köpfe der
hereinströmenden Krieger hinweg, dann sah er wieder Eragon und
Roran an. »Hammerfaust, du solltest bei deinen Männern sein und
nicht hier mit deinem Cousin plaudern.« Damit trieb Jörmundur sein
Pferd an, ritt die düstere Straße entlang, nach allen Seiten
Befehle brüllend.
Als Roran und Arya sich anschickten, ihm zu
folgen, packte Eragon seinen Cousin an der Schulter und klopfte mit
seinem Schwert gegen Aryas Klinge. »Wartet!«
»Was ist denn?«, fragten Arya und Roran wie
aus einem Mund.
Ja,
was?, wiederholte Saphira. Wir
sollten hier nicht stehen und reden, während die Beute auf uns
wartet.
»Mein Vater«, rief Eragon aus, »war nicht
Morzan, sondern Brom.«
Roran blinzelte. »Brom?«
»Ja, Brom!«
Sogar Arya schien überrascht. »Bist du
sicher, Eragon? Woher weißt du das?«
»Natürlich bin ich sicher! Ich erkläre es
euch später, aber ich konnte die Wahrheit nicht länger für mich
behalten.«
Roran schüttelte den Kopf. »Brom... darauf
wäre ich nie gekommen, aber ich schätze, es ergibt Sinn. Du bist
bestimmt froh, Morzans Erbe los zu sein.«
»Mehr als froh«, erwiderte Eragon
grinsend.
Roran klopfte ihm auf den Rücken. »Pass auf
dich auf, ja?« Dann zog er mit Horst und den anderen Dörflern
weiter.
Arya wollte in dieselbe Richtung, aber bevor
sie zwei Schritte gemacht hatte, rief Eragon ihren Namen. »Der
unversehrte Krüppel hat Du Weldenvarden verlassen und sich
Islanzadi in Gil’ead angeschlossen«, erzählte er ihr.
Aryas grüne Augen weiteten sich. Sie öffnete
die Lippen, als wollte sie eine Frage stellen, doch die Welle der
hereinflutenden Krieger riss sie mit und spülte sie in die Stadt
hinein.
Bloëdhgarm schob sich näher an Eragon heran:
»Schattentöter, warum hat der trauernde Weise den Wald
verlassen?«
»Er und sein Gefährte hielten die Zeit für
gekommen, das Imperium anzugreifen und sich Galbatorix zu
zeigen.«
Das Fell des Wolfkatzenelfs kräuselte sich.
»Das sind in der Tat bedeutsame Nachrichten.«
Eragon kletterte auf Saphiras Rücken.
»Schlagt euch zur Festungsanlage durch. Wir treffen uns dort«, rief
er Bloëdhgarm und seinen anderen Wachen zu.
Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang Saphira
auf die breite Steintreppe und stelzte zur Brustwehr empor. Von
dort schwang sie sich mit einem mächtigen Satz in die Luft und flog
mit raschen Flügelschlägen, um an Höhe zu gewinnen, über die
brennenden Holzhütten vor Feinsters Toren hinweg.
Arya muss uns erst die
Erlaubnis geben, bevor wir jemand anderem von Oromis und Glaedr
erzählen können, sagte Eragon und erinnerte sich an das
Schweigegelübde, das er, Orik und Saphira Königin Islanzadi bei
ihrem ersten Besuch in Ellesméra geleistet hatten.
Das wird sie sicher,
wenn sie unseren Bericht gehört hat, sagte Saphira.
Ja.
Sie flogen über Feinster hinweg und landeten
überall dort, wo sie einen Soldatentrupp erblickten oder eine
Gruppe Varden, die in die Enge getrieben worden war. Wenn ihre
Widersacher nicht sofort angriffen, versuchte Eragon, sie zum
Aufgeben zu überreden. Es gelang ihm so oft, wie es ihm misslang,
aber er fühlte sich trotzdem besser dabei, es wenigstens zu
versuchen, denn viele der Männer auf Feinsters Straßen waren
gewöhnliche Bürger, keine ausgebildeten Soldaten. Zu allen sagte
Eragon: »Nicht ihr, sondern das Imperium ist unser Feind. Wenn ihr
nicht die Waffen gegen uns erhebt, habt ihr nichts zu befürchten.«
Einige Male sah Eragon eine Frau oder ein Kind durch die dunkle
Stadt rennen, denen er befahl, sich im nächsten Haus zu verstecken.
Sie gehorchten ihm ohne Ausnahme.
Eragon tastete mit seinem Geist nach dem
Bewusstsein der Menschen in seiner und Saphiras Umgebung, immer auf
der Suche nach feindlichen Magiern. Doch es blieb bei den drei
Zauberern, auf die er bereits getroffen war, und sie schirmten ihre
Gedanken erfolgreich vor ihm ab. Es beunruhigte ihn, dass sie nicht
mehr aktiv an den Kampfhandlungen teilzunehmen schienen.
Vielleicht wollen sie
aus der Stadt fliehen, sagte er zu Saphira.
Würde Galbatorix sie
mitten in einer Schlacht ziehen lassen?
Ich bezweifle, dass er
je freiwillig auf einen seiner Magier verzichten würde.
Genau. Wir müssen
vorsichtig sein. Wer weiß, was sie vorhaben?
Eragon zuckte mit den
Schultern. Fürs Erste ist es das Beste,
wenn wir den Varden helfen, die Stadt so schnell wie möglich
einzunehmen.
Sie pflichtete ihm bei und landete auf einem
Platz, wo ein Handgemenge im Gang war.
In einer Stadt zu kämpfen war etwas anderes
als auf freiem Gelände, wie Eragon und Saphira es gewohnt waren.
Die engen Gassen und dicht beieinanderstehenden Häuser schränkten
Saphiras Bewegungsfreiheit ein und machten es schwierig, auf
Angriffe des Gegners zu reagieren, auch wenn Eragon die Männer
lange vor ihrer Ankunft spüren konnte. Ihre Zusammenstöße mit den
Soldaten wurden zu kurzen, erbitterten Kämpfen, nur gelegentlich
unterbrochen von Feuerstößen oder Magie. Mehr als einmal brachte
Saphira mit einem achtlosen Schwanzschlenker eine Häuserfront zum
Einsturz. Trotzdem gelang es ihnen immer wieder - mit einer
Mischung aus Glück, Geschick und Eragons Schutzzaubern -,
schwereren Verletzungen zu entgehen. Allerdings agierten sie in der
ungewohnten Umgebung vorsichtiger und waren noch angespannter als
normalerweise in einer Schlacht.
Als nach dem fünften Gefecht die Soldaten
die Flucht ergriffen - so wie sie es am Ende immer taten -, war
Eragon so wütend, dass er sie verfolgte, fest entschlossen, jeden
Einzelnen von ihnen zu töten. Zu seiner Überraschung verließen sie
die Straße und stürmten durch die verbarrikadierte Tür eines
Hutmachers.
Eragon sprang ihnen über die Trümmer der Tür
hinterher. Im Inneren des Geschäfts war es stockfinster und es roch
nach Hühnerfedern und schalem Parfüm. Er hätte den Raum mit Magie
erhellen können, aber da er wusste, dass die Dunkelheit für die
Soldaten von größerem Nachteil war als für ihn, ließ er es bleiben.
Eragon spürte ihre Gegenwart, hörte ihre keuchenden Atemzüge, aber
er war sich nicht sicher, was zwischen ihm und seinen Widersachern
lag. Schritt für Schritt tastete er sich tiefer in das Dunkel
hinein. Er hielt seinen Schild vor sich und Brisingr hoch erhoben,
bereit, augenblicklich zuzuschlagen.
Leise wie ein zu Boden fallender Bindfaden
hörte Eragon einen Gegenstand durch die Luft fliegen.
Er zuckte zurück und taumelte, als eine
Keule oder ein Hammer auf seinen Schild krachte und ihn in Stücke
brach. Lautes Gebrüll erhob sich. Ein Mann stieß einen Stuhl oder
Tisch um und irgendetwas flog gegen eine Wand. Eragon stach zu und
spürte, wie Brisingr in einen Körper drang und auf einen Knochen
traf. Ein Gewicht zog an seiner Klinge. Eragon riss sie heraus, und
der Mann, den er niedergestreckt hatte, sank vor ihm zu
Boden.
Eragon wagte einen kurzen Blick zurück zu
Saphira, die auf der engen Straße wartete. Da erst bemerkte er,
dass draußen am Straßenrand eine Laterne an einem Eisenpfahl hing,
in deren Licht er für die Soldaten deutlich zu erkennen sein
musste. Blitzschnell hechtete er fort von der offenen Tür und warf
die Überreste seines Schildes weg.
Wieder hallte ein Krachen durch den Laden,
gefolgt von hastigen Schritten, als die Soldaten aus dem Raum
stürmten und eine Treppe hochrannten. Eragon stürzte ihnen nach. Im
ersten Stock wohnte die Familie, der das Hutgeschäft gehörte.
Mehrere Leute schrien, und ein Baby begann zu weinen, als Eragon
durch ein Labyrinth kleiner Zimmer preschte, doch er hatte nur
seine Beute im Kopf und beachtete sie nicht. Schließlich stellte er
die Männer im letzten, von einer einzelnen Kerze erhellten
Zimmer.
Eragon tötete die vier Soldaten mit vier
Schwertstreichen und zuckte zusammen, als ihr Blut auf ihn
spritzte. Einem der Männer nahm er den Schild ab. Dann hielt er
inne und betrachtete die Leichname. Er fand, es schicke sich nicht,
sie mitten in der Wohnstube liegen zu lassen, also warf er sie
kurzerhand aus dem Fenster.
Als er zur Treppe zurückeilte, trat hinter
einer Wand eine Gestalt hervor und stieß mit einem Dolch nach ihm.
Die Klingenspitze stoppte einen Fingerbreit vor Eragons Rippen,
aufgehalten von seinen Schutzzaubern. Erschrocken riss er Brisingr
hoch und wollte dem Angreifer schon den Kopf von den Schultern
schlagen, als er sah, dass es sich um einen Jungen von höchstens
dreizehn Jahren handelte.
Eragon erstarrte. Das könnte ich sein, dachte
er. An seiner Stelle hätte ich genauso
gehandelt. Er sah an dem Jungen vorbei und entdeckte
einen Mann und eine Frau im Nachthemd. Die beiden klammerten sich
aneinander und starrten voller Furcht zu ihm herüber.
Ein Beben durchfuhr Eragon. Er senkte
Brisingr und nahm dem Jungen den Dolch ab. »Wenn ich du wäre«,
sagte er und es erschreckte ihn, wie laut seine Stimme klang,
»würde ich nicht nach draußen gehen, bis die Schlacht vorbei ist.«
Zögernd fügte er hinzu: »Es tut mir leid.«
Beschämt eilte er aus dem Geschäft und
kehrte zu Saphira zurück. Gemeinsam schritten sie die Straße
entlang.
Unweit des Hutladens stießen Eragon und
Saphira auf mehrere von König Orrins Männern. Sie schleppten
goldene Kerzenleuchter, Silberteller, Juwelen und verschiedene
Einrichtungsgegenstände aus einem prunkvollen Herrenhaus, in das
sie eingebrochen waren.
Eragon schlug einem Mann mehrere
zusammengerollte Teppiche aus dem Arm. »Bringt diese Sachen
zurück!«, schrie er die ganze Gruppe an. »Wir sind hier, um diesen
Menschen zu helfen, nicht um
sie zu bestehlen! Sie sind unsere Brüder und Schwestern, unsere
Mütter und Väter. Dieses eine Mal lasse ich euch laufen, aber sagt
allen, dass ich jeden Mann auspeitschen lasse, den ich ab jetzt
beim Plündern erwische!« Mit einem lauten Knurren untetrich Saphira
seine Worte. Unter ihren wachsamen Blicken trugen die reuigen
Krieger ihre Beute in das mit Marmor verkleidete Haus zurück.
So, sagte
Eragon zu Saphira, vielleicht können wir
jetzt...
»Schattentöter! Schattentöter!«, brüllte ein
Mann, der aus dem Zentrum der Stadt auf sie zugerannt kam. An
Waffen und Rüstung konnte man erkennen, dass er ein Varde
war.
Eragon verstärkte seinen Griff um Brisingr.
»Was ist?«
»Wir brauchen deine Hilfe, Schattentöter!
Und deine auch, Saphira!«
Sie folgten dem Krieger durch Feinster, bis
sie ein großes Steingebäude erreichten. Mehrere Varden hockten
geduckt hinter einer Mauer, die das Gebäude umgab. Sie schienen
erleichtert, als sie Eragon und Saphira kommen sahen.
»Geht in Deckung!«, rief ihnen einer der
Männer zu und gestikulierte wild. »Da drinnen sitzt ein ganzer
Trupp Soldaten und zielt mit Bogen auf uns.«
Eragon und Saphira blieben außer Sichtweise
des Hauses stehen.
»Wir kommen nicht an sie ran«, erklärte der
Krieger, der sie hergeführt hatte. »Die Türen und Fenster sind
verbarrikadiert, und wenn wir versuchen, sie aufzubrechen, nehmen
uns die Soldaten unter Beschuss.«
Eragon sah Saphira an. Willst du oder soll ich?
Ich kümmere mich
darum, sagte sie und stieg mit ein paar schnellen
Flügelschlägen in die Luft.
Das Haus erbebte und Fensterscheiben
zerbrachen, als Saphira auf dem Dach landete. Ehrfürchtig sahen
Eragon und die anderen Krieger zu, wie sie die Klauen in die
Mörtelfugen zwischen den Steinen grub und unter angestrengtem
Fauchen das Gebäude auseinanderriss, bis die schreckensbleichen
Soldaten zum Vorschein kamen, die sie tötete wie ein Terrier ein
paar Ratten.
Als Saphira sich wieder zu Eragon gesellte,
wichen die Varden vor ihr zurück. Offensichtlich machte ihnen ihre
Wildheit Angst. Saphira ignorierte sie, leckte sich die Pfoten und
säuberte ihre Schuppen vom Blut.
Habe ich dir je
erzählt, wie froh ich bin, dass wir beide keine Feinde
sind?, fragte Eragon.
Nein, aber das ist sehr
lieb von dir.
Überall in der Stadt leisteten die Soldaten
mit einer Zähigkeit Widerstand, die Eragon beeindruckte. Sie zogen
sich nur zurück, wenn die Übermacht des Feindes erdrückend war, und
taten ansonsten alles, um den Vormarsch der Varden aufzuhalten. So
zeigte sich am Himmel schon das erste Morgenrot, als die Rebellen
schließlich die Westseite Feinsters erreichten, wo sich die
Burganlage befand.
Es war ein imposantes Bauwerk, hoch und
rechtwinklig, das mehrere verschieden hohe Türme zierte. Das Dach
war aus Schiefer, damit Angreifer es nicht in Brand schießen
konnten. Vor der eigentlichen Burg lag ein weitläufiger Hof, in dem
sich einige niedrige Wirtschaftsgebäude duckten und vier Katapulte
standen. Die gesamte Anlage wurde von einer dicken, mit mehreren
Wachtürmen versehenen Steinmauer umschlossen. Hunderte von Soldaten
hielten die Brustwehr besetzt und auch im Hof wimmelte es von
Männern. Der einzige Zugang auf das Gelände führte durch einen
breiten Torbogen, den ein eisernes Fallgatter und zwei hohe
Eichentüren versperrten.
Tausende von Varden drängten gegen die
Außenmauer und versuchten, das Fallgatter mit dem vom Haupttor
herbeigeschleppten Rammbock zu durchbrechen oder die Mauer mit
Seilen und Sturmleitern zu erklimmen, die die Verteidiger aber
immer wieder zurückstießen. Pfeilhagel zischten in beide Richtungen
über die Mauer hinweg. Keine Seite schien sich einen Vorteil
verschaffen zu können.
Das
Tor!, rief Eragon und deutete nach unten.
Saphira stieß hinab und räumte die Brustwehr
oberhalb des Fallgatters mit einem Feuerstrahl leer. Während ihr
der Rauch noch aus den Nüstern quoll, ließ sie sich auf die Mauer
fallen - der Aufprall ging Eragon durch Mark und Bein - und
sagte: Na los! Ich kümmere mich um die
Katapulte, bevor sie Steine auf die Varden abschießen.
Sei
vorsichtig. Er rutschte von ihrem Rücken auf die
Brustwehr hinunter.
Die anderen sollen
lieber vorsichtig sein!, entgegnete sie und fauchte die
Pikenträger an, die an den Katapulten standen. Die Hälfte von ihnen
fuhr herum und rannte in eines der Gebäude.
Die Mauer war zu hoch, als dass Eragon zur
Straße hätte hinunterspringen können, deshalb schob Saphira den
Schwanz über die Mauer und ließ ihn zwischen zwei Zacken nach unten
hängen. Eragon schob Brisingr in die Scheide, dann kletterte er
hinab, wobei er die Schwanzzacken als Leitersprossen benutzte. Als
er die Schwanzspitze erreichte, hielt er kurz inne. Dann sprang er
die letzten zwanzig Fuß bis zum Boden. Als er inmitten der Varden
landete, rollte er sich ab, um die Wucht des Aufpralls
abzufangen.
»Seid gegrüßt, Schattentöter«, sagte
Bloëdhgarm und trat mit den anderen Elfen aus der Kriegerschar
heraus.
»Seid gegrüßt.« Eragon zückte Brisingr
wieder. »Warum habt ihr das Tor nicht längst für die Varden
geöffnet?«
»Weil es durch zahlreiche Zauber geschützt
ist, Schattentöter. Es würde erhebliche Kraft kosten, es zu
durchbrechen. Meine Gefährten und ich sind hier, um Euch und
Saphira zu beschützen, und wir können unserer Pflicht nur
nachkommen, wenn wir uns nicht bei anderen Aufgaben
verausgaben.«
Eragon unterdrückte einen Fluch. »Würdet Ihr
es lieber sehen, wenn Saphira und ich uns verausgaben, Bloëdhgarm?
Wäre das vielleicht sicherer für uns?«
Der Elf starrte Eragon einen Moment lang an,
seine gelben Augen unergründlich, dann neigte er leicht den Köpf.
»Wir werden das Tor auf der Stelle öffnen, Schattentöter.«
»Nein, lasst es bleiben«, brummte Eragon.
»Wartet hier.«
Eragon schob sich durch die Menge und ging
auf das Fallgatter zu. »Macht Platz!«, rief er. Die Varden wichen
zurück und bildeten einen kleinen Halbkreis um ihn. Ein Speer,
abgeschossen von einer der Wurfmaschinen, kam über die Mauer
geflogen, prallte an Eragons Schutzzauber ab und fiel klappernd zu
Boden. Im Innern des Hofes ertönte Saphiras Gebrüll und dann das
Geräusch von berstendem Holz und reißenden Seilen.
Das Heft jetzt mit beiden Händen gepackt,
hob Eragon das Schwert über den Kopf und rief: »Brisingr!« Blaues
Feuer flammte an der Klinge auf und die Krieger hinter ihm brachen
in Rufe des Erstaunens aus. Eragon trat vor und schlug mit dem
Schwert gegen eine der Eisenstangen des Fallgatters. Ein greller
Blitz erhellte die Mauer und die umliegenden Gebäude, als die
Klinge mühelos durch das dicke Metall schnitt. Gleichzeitig spürte
Eragon, wie seine Erschöpfung wuchs, als Brisingr die Beschwörungen
brach, die das Fallgatter schützten. Er lächelte. Wie er gehofft
hatte, war die Magie, mit der Rhunön Brisingr umwoben hatte, mehr
als ausreichend, um die Zauber zu überwinden.
Mit schnellen, gleichmäßigen Bewegungen
schnitt Eragon ein mannshohes Loch in das Fallgatter und trat zur
Seite, als das lose Gitterstück scheppernd zu Boden fiel. Er stieg
darüber hinweg und ging auf die massiven Eichentüren zu, die ein
Stück dahinter in die Mauer eingelassen waren. Er setzte Brisingrs
Spitze auf den haarfeinen Spalt zwischen den Türflügeln, stemmte
sich mit seinem ganzen Gewicht gegen das Schwert und schob die
Klinge durch die enge Lücke hindurch. Dann ließ er noch mehr
Energie in die Flammen strömen, die die Klinge umloderten, bis sie
so heiß war, dass sie so mühelos durch das harte Holz glitt wie ein
Messer, das durch frisches Brot schneidet. Die Klinge umwallte
dichter Rauch, der in der Kehle brannte und Eragons Augen tränen
ließ.
Eragon führte das brennende Schwert nach
oben durch den gewaltigen Holzbalken, der die Tore auf der anderen
Seite verriegelte. Als er merkte, dass Brisingrs Klinge kaum noch
auf Widerstand traf, zog er die Waffe zurück und löschte die
Flammen. Da er dicke Schutzhandschuhe trug, konnte er die glühende
Türkante packen. Mit einem mächtigen Ruck zog er sie auf. Im
nächsten Moment schwang auch der andere Türflügel auf, scheinbar
wie von Geisterhand. Dann sah Eragon, dass Saphira ihn aufgestoßen
hatte. Sein Drache saß gleich neben dem Eingang und sah ihn aus
funkelnden blauen Augen an. Hinter Saphira lagen die vier
Wurfmaschinen in Trümmern.
Eragon stellte sich zu ihr, während die
Varden unter lauten Schlachtrufen in den Hof stürmten. Ausgelaugt
von der Anstrengung, legte Eragon die Hand auf den Gürtel von
Beloth dem Weisen und frischte seine Kräfte mit der in den zwölf
Diamanten gespeicherten Energie auf. Den Rest bot er Saphira an,
die genauso erschöpft war wie er, aber sie lehnte
ab. Spar sie dir lieber auf. Du hast
nicht mehr so viel übrig. Abgesehen davon: Was ich wirklich
brauche, sind eine Mahlzeit und viel Schlaf.
Eragon lehnte sich an sie; ihm fielen fast
die Augen zu. Bald, sagte
er. Bald wird das alles vorbei
sein.
Das will ich auch
hoffen, entgegnete sie.
Unter den hereinströmenden Kriegern war auch
Angela in ihrer sonderbaren grün-schwarzen Rüstung und mit ihrem
Hûthvír, der mit zwei Klingen versehenen Holzstange, die gewöhnlich
nur Zwergenpriester trugen. Die Kräuterhexe blieb vor Eragon stehen
und meinte schelmisch: »Beeindruckend, deine Darbietung. Aber
findest du nicht, dass du ein bisschen übertreibst?«
Eragon runzelte die Stirn. »Wie meinst du
das?«
Sie hob eine Braue. »Komm schon, war es
wirklich nötig, das Schwert in Brand zu setzen?«
Eragons Miene entspannte sich, als er
Angelas Bedenken verstand. Er lachte. »Für das Fallgatter nicht,
aber es hat Spaß gemacht. Außerdem kann ich nichts dafür. Ich habe
das Schwert Feuer genannt - in
der alten Sprache -, und jedes Mal wenn ich den Namen ausspreche,
geht die Klinge in Flammen auf wie ein trockener Ast in einem
Scheiterhaufen.«
»Dein Schwert heißt Feuer?«, rief Angela ungläubig. »Was ist das denn
für ein langweiliger Name? Da hättest du es ja
gleich Lodernde Klingenennen können.
Feuer! Pfff. Hättest du nicht lieber ein Schwert, das Schafbeißer
heißt oder Sonnenblumenspalter oder etwas ähnlich
Einfallsreiches?«
»Einen Schafbeißer hab ich schon«, sagte
Eragon und legte eine Hand auf Saphira. »Warum sollte ich noch
einen brauchen?«
Ein Lächeln erschien auf Angelas Gesicht.
»Du kannst ja richtig witzig sein! Anscheinend gibt es doch noch
Hoffnung für dich.« Und damit tänzelte sie zum Festungsturm davon,
ließ das Doppelschwert an ihrer Seite kreisen und murmelte: »Feuer?
Pfff.«
Ein leises Knurren drang aus Saphiras
Kehle. Kleiner, pass auf, wen du hier
Schafbeißer nennst, sonst könnte es passieren, dass dich gleich
jemand beißt.
Ja, Saphira.